MICE-Portale: Revolutioniert, maximiert, was nun?

Meine Reise durch die Welt der Online-Portale begann zu einer Zeit, als das digitale Zeitalter gerade erst seinen Anfang nahm. Ich kann mich noch gut erinnern, als ich 1998 meinen IT-Administrator davon begeistern wollte, wie die von mir veranstaltete Europameisterschaft im Frauenboxen über das Internet zusätzlich vermarket und Tickets verkauft werden sollten – ohne Erfolg! Mit der Entwicklung des ersten Online-Tagungs-Tools durch Intergerma im Jahr 2003, das später an hotel.de verkauft wurde, betrat ich eine Branche, die bereit war, die Art und Weise, wie Geschäftsveranstaltungen organisiert werden, zu revolutionieren. Große Namen wie die Telekom, TÜV und L'Oréal gehörten zu den Pionieren, die die Vorteile dieser neuen digitalen Plattformen schnell erkannten.

Das neue MICE-Zeitalter: Zwischen Boom und Bewährungsprobe

20 Jahre später ist die Landschaft eine völlig andere. Auch wenn es scheint, als würde es seit Ausbruch der Pandemie zu einer Konsolidierung der Portal-Welt kommen, so kämpfen weiterhin über 100 Online-Portale in Deutschland um Marktanteile. Die Herausforderungen sind jedoch immens gewachsen. Einer Studie zufolge nutzen nur noch 40% der Veranstaltungsplaner regelmäßig MICE-Portale, ein deutlicher Rückgang im Vergleich zu den Vorjahren, wo diese Zahl bei über 60% lag (Quelle: MICE Industry Report 2023).

Zwischen Individualität und Standardisierung: Das Nutzerdilemma

Ein Blick auf die Nutzungsdetails offenbart, dass viele Benutzer sich über die mangelnde Personalisierung und Flexibilität der Portale beschweren. In einer Umfrage gaben 55% der Nutzer an, dass die Portale nicht ausreichend auf ihre spezifischen Bedürfnisse eingehen und oft Standardlösungen anbieten, die wenig Spielraum für individuelle Anpassungen lassen (Quelle: Global MICE Insights 2024).

Von Hybridisierung bis Co-Creation: Die neuen Kundenanforderungen

Die Anforderungen der Kunden haben sich ebenfalls dramatisch verändert. Stichworte wie Hybridisierung, Co-Creation, also interaktive Teilnehmererlebnisse, und nachhaltige und frische Veranstaltungskonzepte dominieren die Wunschlisten und stellen Anforderungen, die viele bestehende Plattformen nicht abbilden können.

Verfügbarkeiten und Preise: Die Realität hinter den Erwartungen

Die größte Fehleinschätzung, die ich persönlich in den letzten 15 Jahren gemacht habe, betrifft die transparente Abbildung von Verfügbarkeiten und Preisen auf den Portalen. Ich ging davon aus, dass diese Informationen früher oder später integrierbar sein würden, was sich als weit entfernt von der Realität erwies. Eine Umfrage des Verbandes der Veranstaltungsorganisatoren (VDVO) bestätigt, dass nur 19% der Veranstaltungsplaner Erfahrungen mit Echtzeit-Verfügbarkeiten und Preis-Transparenz gemacht haben – und dies bezog sich nur auf kleine, standardisierbare Meetings ohne Übernachtung.

Personalmangel und Kostendruck: Die unsichtbare Front

Eine der drängendsten Herausforderungen in der MICE-Branche ist der weit verbreitete Personalmangel, der durch den zunehmenden Kostendruck noch verstärkt wird. Diese Problematik hat besonders gravierende Auswirkungen auf die Funktionsweise von Online-Portalen. Trotz der mehr oder weniger fortschrittlichen digitalen Infrastruktur, die diese Portale bieten, erfordert die Bearbeitung von Anfragen, die über diese Plattformen eingehen, paradoxerweise noch immer einen erheblichen manuellen Aufwand seitens der Hotelmitarbeiter. Das steht im krassen Gegensatz zur ursprünglichen Idee der digitalen Effizienzsteigerung und Automatisierung von Prozessen.

Laut einer aktuellen Untersuchung des VDVO werden über 75% aller MICE-Anfragen in Hotels immer noch formlos per E-Mail gestellt, und selbst die Anfragen, die über Online-Portale eingehen, entkommen nicht der Notwendigkeit einer manuellen Bearbeitung durch das Hotelpersonal. Jede einzelne Anfrage erfordert eine persönliche Bewertung, die Anpassung von Angeboten und oft intensive Nachverfolgung, um den spezifischen Bedürfnissen und Anforderungen der Kunden gerecht zu werden.

Künstliche Intelligenz: Ein Hoffnungsschimmer mit Vorbehalten

Während Künstliche Intelligenz das Potenzial besitzt, den Umgang mit MICE-Anfragen zu revolutionieren, indem sie Automatisierung und personalisierte Angebote ermöglicht, steht die praktische Umsetzung dieser Technologie gerade in der Hotellerie vor erheblichen Hürden. Oft fehlen aufseiten der Hotels die notwendigen Fachkenntnisse und Ressourcen, um solch komplexe Software-Innovationen erfolgreich zu implementieren. Darüber hinaus verfügen Tagungshotels und Eventlocations nicht über eine ausreichende und historische Dokumentation von Daten, um Preise automatisiert zu kalkulieren. Diese Lücke in den digitalen Kompetenzen, kombiniert mit dem anhaltenden Personalmangel und der Überforderung der operativen Stellen bei der Einführung neuer Technologien, führt dazu, dass viele vielversprechende Ansätze scheitern, bevor sie ihr volles Potenzial entfalten können.

Neuausrichtung und Innovation: Der Weg in die Zukunft

Als Teilnehmer der bevorstehende VDR-Regional-Tagung in Düsseldorf freue ich mich darauf, dieses Thema tiefer zu beleuchten. Zusammen mit Julia Ridder, Global Travel Managerin der GEA Group, werde ich die Gelegenheit haben, ein Best Practice zu teilen, um von Herausforderungen zu Lösungen zu navigieren. Eines sei bereits jetzt verraten: Portallösungen wie Sie vor 20 Jahren entwickelt wurden und heute noch in den meisten Fällen im Einsatz sind, spielen dabei keine entscheidende Rolle mehr!

Es ist eine Zeit des Umbruchs und der Neuerfindung für MICE-Online-Portale, und nur durch Anpassung und Innovation können wir die Erwartungen der modernen Veranstaltungsplaner erfüllen.

Bildquelle: Bernd Fritzges am Stand der Intergerma auf der ITB 2012
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